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Newsletter 7/20

26.11.2020

KOMMENTAR

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Covid-19: Positive Signale und ernüchternde Lektion

Wissenschaft und Medizin beweisen eindrucksvoll ihre Leistungsfähigkeit

Achteinhalb Monate nach Verhängung des ersten – harten – „Lockdown“ in Österreich und zur Halbzeit des aktuellen, zweiten lässt sich naturgemäß kein Gesamtbefund erstellen. Als Mitglied der EU COVID-19 National Scientific Advice Platform, als ehemaliger Präsident des Obersten Sanitätsrats (2018-2019) und ehemaliges Mitglied des Beraterstabs der österreichischen Corona Virus Task Force (II-VIII/2020) darf der Rektor der MedUni Wien jedoch festhalten: In den vergangenen Monaten zeigte sich eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit der modernen Wissenschaften, vor allem in den medizinischen Bereichen Impfstoffentwicklung, Labordiagnostik und Infektiologie, aber auch in vielen Beiträgen zur Balancierung des Nutzen-Risiko-Profils der Covid-19-Maßnahmen auf den Gebieten der Mathematik, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Neben diesen positiven Signalen waren die letzten Monate aber auch eine teilweise ernüchternde Lektion zu „nationaler Resilienz“, „Fake News“, „Propaganda“ und „Pseudowissenschaft“.

Zum Jahreswechsel 2019/2020 sah Österreich einem weiteren, erfolgreichen Jahr seiner Nachkriegsgeschichte und einer neuen Regierungsbildung entgegen. Weitgehend unbeachtet lief, erstmals seit über 100 Jahren, auch das Mandat des Obersten Sanitätsrats aus, eines Gremiums für nationale Gesundheitsfragen, das seitens der Beamtenregierung nicht nachbesetzt worden war. Das ehemals bestehende Amt einer Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit war bereits von einer Vorgängerregierung abgeschafft worden.

Vergessene Archive. Pandemiepläne und Maskenbestände aus Zeiten der Vogelgrippe schlummerten in vergessenen Archiven und Depots. 2020 entwickelte sich bedauerlicherweise bald anders als erhofft. Erste Berichte über ein neues, von Mensch zu Mensch übertragbares SARS 2 Virus und die Sequenzierung seines Genoms Anfang Jänner führten an der MedUni Wien, der österreichischen Referenzstelle für respiratorische Viruserkrankungen, zur Etablierung eines SARS 2-PCR Tests. Der erste Befund wurde bereits am 23.1.2020, wenige Tage nach Erstbeschreibung des Virus, ausgestellt.

Obwohl seit Ende Jänner an der MedUni Wien über ihr weltweites Netzwerk zunehmend besorgniserregende Berichte zu SARS 2 einlangten, vertraten mehrere Experten und auch das Europäische Seuchenzentrum ECDC noch am 14. Februar die Meinung, dass von Covid nur ein „geringes Risiko“ für Europa ausging. Am 23. Februar kam es – auf Initiative der MedUni Wien – zu einer ersten Sitzung eines neu eingerichteten Wiener Krisenstabs und zur Alarmierung des Gesundheitsministeriums, was weitergehende Schritte, wie die Testung von stationären Patienten mit Pneumonie, Heim-Quarantäne und Heimversorgung von Infizierten und Quarantäne von Kontaktpersonen zur Folge hatte. Auch wenn von Beginn an klar war, dass die Berichte von hohen Todesraten aus China einem „reporting bias“ unterlagen, gaben die Signale von Intensivstationen aus China und Italien erheblichen Anlass zu Sorge.

Infektionscluster. Zeitgleich mit einer sich destabilisierenden Lage in Norditalien und einem großen, weltweit ausstrahlenden Infektions-Cluster im Tiroler Skiort Ischgl wurde offensichtlich, dass auch in Österreich Anfang März eine Nachverfolgung der Infektionsketten nicht mehr möglich war. Mangels Obersten Sanitäts-Rats und einer Generaldirektion für öffentliche Gesundheit war von der MedUni Wien, auf Ersuchen des erst seit einigen Wochen amtierenden neuen Gesundheitsministers, eine „Task Force des Gesundheitsministeriums“ etabliert worden, welche am 12. März den Vorschlag einer Strategie-Umstellung von „Containment“ zu „Mitigation“ unterbreitete.

Am 16. März kam es daher in Österreich zu gesetzlich verpflichtenden Maßnahmen des „social distancing“ (vulgo „Lockdown I“). Diese Maßnahmen verringerten die Infektionsrate und führten dazu, dass Österreich, zeitgleich mit Dänemark, am 14. April als eines der weltweit ersten Länder wieder Maßnahmen lockern konnte. Gegen erheblichen Widerstand, auch von Experten, wurde in Österreich mit Ende des „Lockdown“ eine Maskenpflicht in gewissen Situationen eingeführt. International galt Österreich, trotz gravierender struktureller Mängel, als Vorzeigebeispiel in der Krisenbewältigung.

Öffentliche Debatten. Ein multi-institutionelles Prognosekonsortium der MedUni Wien, der TU Wien und des GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) war fortan mit der Prognoseerstellung zur Covid-19-Situation betraut. Unmittelbar nach Ende des Lockdown begannen intensive, von manchen, vor allem auch sozialen Medien befeuerte, öffentliche Debatten zum Nutzen/Risiko Profil der gesetzten Maßnahmen, zur Einführung eines elektronischen Tracing-Tools „Corona-App“ oder zur Maskenpflicht, teils auf Basis eines falsch verstandenen Evidenzbegriffs (https://www.bmj.com/content/363/bmj.k5094), mit freien Grenzen zu unverantwortlichen Positionen von „Corona-Leugnung“ bis hin zu extremen Verschwörungstheorien, offensichtlicher Neigung zu Selbstdarstellung und Geschäftsmodellen.

Insgesamt zeigten sich in Kommunikation und Krisenmanagement verschiedene nationale Stilformen der Krisenbewältigung und -kommunikation. Das von einigen Ländern zu Beginn verfolgte Konzept der natürlichen „Herdenimmunität“ (ca. zwei Drittel der Bevölkerung „immun“) wurde bald aufgrund offensichtlich nicht tragbarer Konsequenzen fallengelassen. Während sich Europa und die USA durch die Krise plagten, blieb – neben China – die Situation in einigen Ländern wie Finnland, Südkorea, Japan und Taiwan weitgehend durch Umsetzung von Maßnahmen, die in großen Teilen Europa nur halbherzig mitgetragen wurden, bei einigermaßen unbelasteter Wirtschaft, unter Kontrolle.

Impfstudien. Nach enttäuschenden Ergebnissen vieler Studien zu möglichen SARS 2-Therapien brachten erste Ergebnisse von Impfstudien zu über hundert Impfstoffkandidaten im Sommer ersten Anlass zur Hoffnung. Seit Beginn der Sommerreisezeit war allerdings in Österreich ein Trend zu höheren Infektionszahlen bemerkbar. Weiterführende Maßnahmen wurden offenbar aufgrund einer geänderten öffentlichen Meinung und aufgrund der Annahme eines suffizienten „Case Tracings“ seitens der Behörden lange nicht verfolgt. Am 22.10. wiesen, auf Initiative der MedUni Wien, namhafte MedizinerInnen aus Österreich auf eine drohende Überlastung von Intensiv-Stationen hin https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/detailseite/2020/news-im-oktober-2020/covid-19-in-oesterreich-gemeinsame-stellungnahme-zur-aktuellen-situation/.

Kurz darauf, als im behördlichen Case Tracing nur mehr ein Bruchteil der Infektionen auf eine Quelle rückführbar war, und sich Österreich bei der Zahl der Neuinzidenzen an der weltweiten Spitze befand, kam es zu einem zweiten Maßnahmenpaket (vulgo „Lockdown II“). Die Entwicklung mehrerer Kandidatenimpfstoffe mit Aussicht auf Zulassung zum Jahreswechsel erfolgte im Rahmen des schnellsten Arzneimittelprogramms der Geschichte, in den USA unter dem Namen „Warp Speed“. Am 19. November stellten sowohl die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen als auch der US FDA Commissioner Stephen Hahn eine „Conditional Approval“ bzw. „Emergency Use“ Zulassung mehrerer Covid-Impfstoffe noch im Jahr 2020 in Aussicht.

Eine persönliche Darstellung der ersten Phase der Covid-Krise wurde bereits in einem Kommentar am 12. Juni veröffentlicht (https://www.springermedizin.de/covid-19/the-start-of-the-austrian-response-to-the-covid-19-crisis-a-pers/18077746?fulltextView=true).

Rektor Markus MÜLLER

Medizinische Universität Wien

INLAND

Anders als im März waren Österreichs Universitäten auf den zweiten „Lockdown“ in diesem Jahr gut vorbereitet. Von der COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, datiert mit 3. November, und der seit 17.11. geltenden COVID-19-Notmaßnahmenverordnung des Gesundheitsministeriums wurde der Handlungsspielraum der Universitäten, anders als ursprünglich befürchtet, nicht eingeschränkt. Im Rahmen ihrer Autonomie haben die Universitäten auf Basis ihrer Sicherheitskonzepte einen weitgehenden Umstieg von Präsenz- auf Fernlehre umgesetzt und berücksichtigen damit auch die Empfehlung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF): „Ausdünnung der Sozialkontakte an den Hochschulen, aber nicht Einstellung des Betriebs.“

Mehr als fünf Monate nach dem Start der von der Universitätenkonferenz (uniko) ins Leben gerufenen Online-Kampagne „UNInteressant? – Ideen, die unser Leben verbessern“ wurde die Themenpalette um einen Zusatz erweitert, der die Dimensionen der Fortbewegung in den Fokus rückt: Mit dem Dauerbrenner Mobilität sollen trotz oder gerade wegen des seit Anfang November wieder geltenden Lockdowns die diesbezüglichen Herausforderungen und Möglichkeiten für die Menschheit in der nächsten Dekade wissenschaftlich unter die Lupe genommen werden. Die Beiträge der einzelnen Universitäten reichen vom Design des Urlaubshausboots „Freiraum“ über passende Spielregeln für selbstfahrende Autos bis zur Logistik der Hauszustellung von Lebensmitteln.

In getrennt geführten Interviews für die aktuelle FALTER-Beilage BILDUNG nehmen uniko-Präsidentin Sabine Seidler und der Generalsekretär der Fachhochschul-Konferenz (FHK) Kurt Koleznik zum Verhältnis der beiden tertiären Einrichtungen Stellung. Während dieser weiterhin das Promotionsrecht an der FH als Ziel anführt, spricht sich die uniko-Präsidentin strikt dagegen aus: Dies sei nicht notwendig, erklärt sie und fügt hinzu: „Es muss natürlich institutionalisierte Wege geben, damit auch FH-Absolventinnen und -Absolventen promovieren können. Es gibt auch bereits langjährige Kooperationen im Forschungsbereich, welche die angebliche Konkurrenz Lügen strafen.“ Nachsatz von Seidler: „Ich würde mir wünschen, dass die FHs ein bisschen entspannter wären.“

uniko-VERANSTALTUNG

„Geschlechtervielfalt an Universitäten – Repräsentationen, Strategien und Handlungsmöglichkeiten“: So lautete das Motto der Online-Tagung, die am 25. November von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) gemeinsam mit der uniko ausgerichtet und via Zoom von 100 teilnehmenden Personen besucht wurde. Ausgangspunkt der Veranstaltung war das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zum Personenstandsgesetz („3. Geschlecht“) vom 15. Juni 2018, mit dem nun auch Universitäten verpflichtet sind, diese Entscheidung umzusetzen. Ziel der Tagung war es, Handlungsmöglichkeiten für Universitäten und deren Angehörige aufzuzeigen, institutionelle Zwischenräume ausfindig zu machen und zur Vernetzung untereinander anzuregen.

KURZMELDUNG

Konstituierende Sitzung für TU in Oberösterreich

Unter der Leitung von Bundesminister Heinz Faßmann und Landeshauptmann Thomas Stelzer fand am 11. November das erste Arbeitsgespräch der Vorbereitungsgruppe zur neuen technischen Universität in Oberösterreich mit Schwerpunkt Digitalisierung statt: Mit dem konstituierenden Meeting des Gremiums – unter den Mitgliedern auch uniko-Präsidentin Sabine Seidler – habe nun „die inhaltlich-operative Arbeit für eines der aktuell bedeutendsten hochschulpolitischen Entwicklungsprojekte“ begonnen, sagte Faßmann. Handlungsauftrag der Vorbereitungsgruppe sei die Erstellung eines umfangreichen Rahmenplans für die neue Universität unter Berücksichtigung der wissenschaftspolitischen, strukturellen, rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Aspekte. Auf Basis der Ergebnisse der Vorbereitungsgruppe soll im Frühjahr 2021 die wissenschaftliche Konzeptgruppe ihre Arbeit beginnen.

ZITAT DES MONATS

„Generell kann man sagen, dass alle westlichen Regierungen in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie radikale Entscheidungen treffen müssen, die nicht populär sind. Und anstatt ihre Bürger in diese Richtung zu führen, schrecken sie zurück – aus Angst, Konsens zu verlieren und die Wirtschaft zu kompromittieren. Man wartet, bis die Infektionszahlen hoch genug sind, damit diese Schritte legitimiert sind. Das ist oft zu spät.“

WHO-Mitglied Walter Ricciardi, Chefberater der italienischen Regierung und Professor für Präventionsmedizin an der Mailänder Universität Cattolica, im Interview mit der PRESSE am 13.11.2020.

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