KOMMENTAR
Akademische Freiheit: Ein gefährdeter Wert
„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ Dieser Satz, festgeschrieben in Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes und in vielen österreichischen Universitätsgebäuden prominent angeschrieben, ist für uns heute eine Selbstverständlichkeit. Eine Selbstverständlichkeit, die aber mit der Verpflichtung einhergeht, diese Freiheit nicht nur zu genießen, sondern sie auch aktiv zu nutzen und gegebenenfalls auch zu verteidigen. Und das scheint immer häufiger notwendig zu sein.
Vor allem dem Thema akademische Freiheit widmet sich das internationale Netzwerk Scholars at Risk (SAR): Es wurde 1999 an der Universität Chicago gegründet und ist ein Zusammenschluss von wissenschaftlichen Institutionen, die sich um die Freiheit der Wissenschaft und Forschung sorgen. Die teilnehmenden Partner wollen es verfolgten Lehrenden und Forschenden aus repressiven Systemen ermöglichen, für eine gewisse Zeit als Gastwissenschafter*in an einer Mitgliedsuniversität frei lehren und forschen zu können. Daneben ist ein wichtiger Schwerpunkt, dass sich die Mitglieder für die Bedeutung wissenschaftlicher Freiheit als Grundlage für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaften einsetzen und einen Beitrag dazu leisten, das Bewusstsein für die Wichtigkeit dafür zu fördern. Seitens der uniko sind die Universität Graz, die Universität Klagenfurt, die Universität Wien und die Wirtschaftsuniversität Wien Mitglieder.
Besorgniserregende Entwicklungen
Scholars at Risk gibt einen jährlichen Bericht zu Übergriffen auf Universitäten und Universitätsangehörige weltweit heraus. Der aktuelle Monitoring-Report zeigt, dass es im Zeitraum vom 1.9.2019 bis 30.8.2020 zu 341 Angriffen auf Universitäten, Professor*innen oder Studierende gekommen ist. Und das passiert auch immer häufiger in Europa: In der Zeit von Juni 2020 bis Juni 2021 wurden 45 Übergriffe registriert und dokumentiert. Um nur einige Beispiele zu nennen: In Bulgarien wurde im April 2021 ein Professor der University of National and World Economy (UNWE) gekündigt, weil er sich auf seiner Facebook-Seite kritisch dazu geäußert hatte, dass dem amtierenden Staatschef während des Wahlkampfes ein Auftritt an der Universität gewährt wurde (zwischenzeitlich wurde die Kündigung widerrufen). In Slowenien wurden mehrere Akademiker*innen zu Geldstrafen verurteilt, weil sie auf den Demonstrationen gegen die Regierung Lesungen machten oder aus der Verfassung zitierten. In Belarus wurden mehrere Universitätsangehörige verhaftet, weil sie sich dem Protest gegen Lukaschenko anschlossen hatten. In Ungarn wurde die Leitung der Universitäten an private Stiftungen übertragen und damit an Personen aus dem engeren Umfeld des Premierministers.
Aus dem Netzwerk Universities for Enlightment (U4E), bei dem auch die uniko Mitglied ist, wurden aus mehreren Hochschulkonferenzen besorgniserregende Entwicklungen berichtet. Meist erfolgt die Einschränkung der akademischen Freiheit und die politische Kontrolle über Universitäten durch Gesetzesänderungen (wie z.B. in Polen angekündigt). Es gibt aber auch andere Formen der Repression: In Serbien wurde soeben die sehr erfolgreiche Rektorin der Universität Belgrad, die im Senat weitaus mehr Stimmen als der Gegenkandidat hatte, vom Unirat zugunsten von diesem nicht mehr bestätigt – was in Zusammenhang damit stehen dürfte, dass davor dem amtierenden Finanzminister plagiatshalber der Doktortitel aberkannt wurde.
Und wie sieht es in Österreich aus? Noch recht gut, genießen wir doch ein hohes Maß an Autonomie, wenngleich es immer wieder gilt, z.B. UG-Novellen mit Blick auf Eingriffe in die Autonomie besonders zu beleuchten. So hatte z.B. der ursprüngliche Entwurf der letzten UG-Novelle vorgesehen, dass die Richtlinienkompetenz des Rektorats mit der Leistungsvereinbarung hätte verbunden werden können. Damit wäre ein Tor geöffnet worden, seitens der Politik direkt auf die Curricula Einfluss zu nehmen. Die Bindung zur Leistungsvereinbarung wurde wieder fallen gelassen, nachdem es dazu heftige Kritik hagelte.
Die neuesten Entwicklungen zeigen also, dass akademische Freiheit ein hohes Gut darstellt, das es zu schätzen und immer wieder zu verteidigen gilt. Oder wie Albert Camus meinte: Die Freiheit besteht in erster Linie nicht aus Privilegien, sondern aus Pflichten.
In diesem Sinne sollte es uns allen ein Anliegen sein, an unseren Universitäten akademische Freiheit nicht nur zu leben, sondern uns für sie national und international einzusetzen.
Edeltraud Hanappi-Egger
Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien und Mitglied des uniko-Präsidiums