KOMMENTAR
Zurück am Schillerplatz
Die Akademie ist zurück am Schillerplatz. Nach rund vier Jahren intensiver und konstruktiver Zusammenarbeit mit der Bundesimmobiliengesellschaft und dem Bundesdenkmalamt hat die Gegenwartskunst das historische Gebäude der Akademie der bildenden Künste Wien am Schillerplatz wieder in Besitz genommen. Neben der sehr sensiblen Rekonstruktion der historischen Substanz ist zudem im Untergeschoss der Akademie ein Depot für das Kupferstichkabinett mitsamt eines Studiensaals geschaffen worden. Kupferstichkabinett und Gemäldesammlung sind nun in einem Gebäude zusammengeführt – das ermöglicht es der Akademie ihre historische Substanz noch stärker ins Licht und in den Zusammenhang mit der zeitgenössischen Lehre zu rücken.
Die Auftaktausstellung in der Gemäldegalerie („Hungry for Time“ konzipiert vom indischen Kurator:innenteam Raqs Media Collective) bringt die Bestände der Sammlungen mit zeitgenössischer Kunst aus mehreren Kontinenten ins Gespräch. Das erfolgt beispielhaft im Dialog mit einer Reihe von zeitgenössischen Ausstellungen, in denen junge Künstler:innen, Studierende und Absolvent:innen präsentiert werden. Diese Kombination aus alt und neu, Ost und West, Nord und Süd erfüllt einen Anspruch im Umgang mit dem historischen Erbe auch des Gebäudes: es wird in ein zeitgenössisches Licht gerückt und aus einer Vielzahl von Perspektiven herausgefordert, um auch neue Sichtweisen zuzulassen und hervorzubringen. Die herausragende Situation des Schillerplatzes zwischen Secession und Museumsquartier, in einer der wichtigsten Museumsmeilen der Welt, bietet dafür hervorragende Möglichkeiten.
In der Sanierung des Akademiegebäudes sind eine Reihe von Details auf ein zeitgenössisches Niveau des Originalzustands gebracht worden, die es so (zumindest lange) nicht gegeben hat. So wurde im historischen Anatomiesaal, der nun als moderner Vortragssaal mit entsprechender AV-Technik ausgestattet ist, die historische Wandbemalung rekonstruiert, die im Zuge der Sanierungsarbeiten wieder sichtbar freigelegt wurde. Auch die Bibliothek, im Mezzanin, ist ihrer historischen Situation wieder ähnlicher geworden: Zahlreiche Altbestände, die lange im Depot verborgen waren, sind im Hauptsaal der Bibliothek sichtbar und direkt zugänglich. Die ursprünglich als Hauptsaal für die historische Gipssammlung angelegte Aula, die gewissermaßen als ein Gebäude im Gebäude tempelhaft die beiden Innenhöfe trennt, ist durch eine verbesserte Lichtsituation sowie die Rekonstruktion der Wand- und Deckengemälde buchstäblich in traditionellem Glanz erstrahlt: So viel Tradition war nie!
Die trompe l’oeil-Optik, die Ästhetik der falschen Oberflächen durchzieht das Haus an allen Stellen – von falschen Lüftungsgittern und angedeuteten Intarsien in der Bibliothek bis hin zur nachlackierten Holzmaserung an den zahllosen Holztüren. Insgesamt ist das Akademiegebäude durchaus farbenfroh: Der historische Architekt des Akademiegebäudes, Theophil Hansen (der u.a. mit Parlament, Börse und Musikverein eine Reihe von Schlüsselbauten im historischen Wien geplant hat) war, wie Gottfried Semper, in seiner Deutung der griechischen Vorbilder ein Anhänger der „Polychromatik“ (Vielfarbigkeit). Auch dafür ist das Akademiegebäude am Schillerplatz ein hervorragender Beleg. Die Dekors entlang der zentralen Gänge und im Eingangsbereich empfangen Besucher:innen fröhlich!
Die Rahmenerzählung des Akademiegebäudes ist von seinem Standort am Schillerplatz, mit Verweis auf die deutsche Klassik, nicht zu trennen. Die „ästhetische Erziehung des Menschen“, die Friedrich Schiller in den 1790er Jahren in einer Reihe von Briefen konzipiert, konnte im Laufe des 19. Jahrhundert verschiedentlich zu einer Quelle nationalromantischer Großerzählungen werden. Das Deckengemälde in der Aula, das auf den „monumentalen Idealisten“ Anselm Feuerbach zurückgeht, lässt sich in diesen Zusammenhang rücken: der Titanensturz, so deutete Feuerbach selbst, sei ein Sinnbild für den Kampf der Zivilisation mit den rohen Kräften der Natur. Vieles am und im Schillerplatz ist in diesem Sinne auf die expansive Herrlichkeit des Kaiserreichs hin komponiert – einschließlich eines Kriegerdenkmals von Josef Müllner in der Aula (das in naher Zukunft noch der Kommentierung bedarf).
Für die Akademie der bildenden Künste Wien ist der „Schmuckkasten Schillerplatz“ zugleich ein Geschenk und eine Herausforderung. Die eigene künstlerische Arbeit der Akademie, ihrer Studierenden und Lehrenden, kann sich durch die historische Substanz des Gebäudes (sowie die akademieeigenen Sammlungen) sowohl gerahmt und gewürdigt fühlen als auch auf zahllose Weisen inspiriert werden. Zugleich ist die Auseinandersetzung der Gegenwart mit der Geschichte immer auch ein Versuch, historisches Gewicht leicht zu nehmen und über die Tradition hinaus zu wachsen. Nicht nur aufgrund seiner hervorragenden innenstädtischen Lage sind der Schillerplatz und sein Bau Multiplikatoren für zentrale strategische Anliegen der Akademie: die Intensivierung ihrer Vernetzung mit städtischen Initiativen und Institutionen, die Auseinandersetzung mit den historischen Kulturschätzen und den ihnen zugrunde liegenden Ideologien.
Johan Hartle
Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien
(Fotocredit: )