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Hochschulraum von morgen

Die österreichischen Universitäten machen sich schon heute Gedanken über das Morgen. In einem längerfristig angelegten Projekt ab 2020 beschäftigt sich die uniko mit den Herausforderungen, die künftig auf unsere Gesellschaft zukommen werden und mit der Frage, wie sich diese auf den Hochschulraum von morgen auswirken werden. 

Folgende Leitfragen werden im Zuge des Projekts gestellt und zu beantworten versucht: 

  • Welche Entwicklungen kommen in den kommenden Dekaden auf uns zu und welche Herausforderungen entstehen daraus für die Gesellschaft?
  • Welche Anforderungen werden von Seiten der Gesellschaft an die Hochschulen gestellt werden, was müssen diese leisten und wie müssen diese strukturiert und organisiert sein, um diese Anforderungen zu erfüllen?
  • Welche Qualifikationen werden zukünftig erforderlich sein (21st century skills)? Welche neuen Bildungskonzepte und Angebote werden benötigt, um diese Qualifikationen zu erreichen?
  • Wie wird eine zukünftige Arbeitsteilung im Sektor aussehen müssen, um die notwendigen Qualifikationen zu vermitteln?

Künftige gesellschaftliche Herausforderungen

Mit Blick auf die kommenden Dekaden lud die uniko die wichtigsten Entscheidungsträger_innen und Interessenvertreter_innen im Hochschulbereich im Sommer 2020 ein, an einem Konsultationsprozess teilzunehmen und gemeinsam in die Zukunft zu denken. Die Ergebnisse der Konsultation wurden ausgewertet und in der Publikation "Hochschulen von Morgen" zusammengefasst. Die Broschüre enthält neben einer Zusammenfassung der Beiträge auch Texte, die in ausgearbeiteter Form zur Konsultation beigetragen wurden. 

Im weiteren Projektverlauf wird die uniko auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse weiterführende Fragen und Handlungsoptionen ausarbeiten. 

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(Doppelseiten)
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(Einzelseiten)


Die Broschüre kann via office@uniko.ac.at auch im Original bestellt werden. 

Der Raum für die Konsultation selbst wurde auf Basis pointierter Zukunftsbilder von fünf wissenschaftlichen Experten und Expertinnen in den Bereichen Gesellschaft, Mobilität, Ökologie, Arbeit und Kommunikation aufgespannt. Die Publikation selbst verlinkt auf die Texte, die hier im Folgenden abgerufen werden können (bitte unter der jeweiligen Überschrift auf weiterlesen... klicken). 

Das Jahr 2050: 30 Jahre sozialen Wandels voller widersprüchlicher Dynamiken (Frank Adloff)

Blicken wir aus dem Jahr 2050 zurück, sehen wir, dass viele Chancen und Weichenstellungen verpasst wurden, das Zusammenleben auf der Erde friedlich, gerecht und im Rahmen der planetaren Grenzen ökologisch zu gestalten. Der soziale Wandel der letzten 30 Jahre ist durch starke Widersprüchlichkeiten, abrupte Kipppunkte und harsche Konflikte gekennzeichnet. Während das 20. Jahrhundert (trotz disruptiver humanitärer Katastrophen in Form von Weltkriegen und Holocaust) noch im Modus stetigen sozialen Wandels ablief, deutete sich bereits zu Beginn des neuen Jahrhunderts an, dass Disruption den sozialen Wandel fortan kennzeichnen sollte: Die historischen Einschnitte des Terrorangriffs am 11. September 2001, der Wirtschafts- und Finanzkrise des Jahres 2008 oder der Covid 19-Pandemie des Jahres 2020 sind hier chiffrenartig zu nennen. Insbesondere mit dem Corona-Jahr 2020 entstand welt- weit in Teilen der Bevölkerung der Eindruck, dass das bisher hegemoniale Projekt der westlichen Moderne mit seiner Fortschrittserzählung an sein Ende gekommen war.

Ein Riss durchzog damals die Vorstellungsräume der Gesellschaften, und es wurde deutlich, dass bestehende Gewissheiten in einem hohen Tempo zerrüttet werden können. Kontingenzbewusstsein und der Verlust an Sicherheiten ist seitdem das Signum der letzten Jahrzehnte. Neue Formen des friedlichen, fairen und ökologisch verträglichen Zusammenlebens werden zwar mehr und mehr praktisch umgesetzt. Andererseits sind die Gegenbewegungen sehr mächtig geworden, die auf Kontingenzabschottung, Verteidigung von Privilegien und Angstabwehr setzen. Zukunftsangst ist der Affekt der Gegenwart des Jahres 2050, den viele Regierungen und soziale Bewegungen instrumentalisieren und in ein Streben nach Macht, Kontrolle und Gewissheit kanalisieren.

In allen Feldern sozialen Wandels – wirtschaftlicher, politischer, kultureller, technologischer und nicht zuletzt ökologischer Wandel, der nicht mehr vom sozialen Wandel zu trennen ist – beobachten wir zum einen Entwicklungen, die auf Pfadabhängigkeiten beruhen, die schon seit rund 50 Jahren bestehen, zum anderen wurden Pfade abgebrochen und radikale Pfadwechsel vollzogen. Dies ist der Grund dafür, dass die gegenwärtige Lage so widersprüchlich erscheint.

Seit dem Jahr 2020 hat sich die Struktur der wirtschaftlichen Globalisierung im Vergleich zu den vor- hergehenden Jahrzehnten deutlich verändert. Eine Vielzahl von Branchen, allen voran die Finanzindustrie, konnte globale Verflechtungen aufrechterhalten und z.T. weiter ausbauen. Andere, von Staaten als Schlüsselindustrien titulierte Branchen gerieten dagegen unter nationalstaatliche Kuratel. Der Kapitalismus ist weiterhin krisenanfällig (man erinnere sich an die großen Weltwirtschaftskrisen der Jahre 2020, 2031 und 2044), doch sein so oft schon prognostiziertes Ende ist bisher nicht eingetreten.

Die Grundmuster der globalen Arbeitsteilung blieben unangetastet: Globale Ungleichheiten zwischen Nationen bestehen weiterhin, und eine Vielzahl an negativen sozialen und ökologischen Folgen der imperialen Lebensweise des Nordens werden weiterhin in die wirtschaftlich schwachen und vulnerablen Länder externalisiert.[1] Auf der anderen Seite haben weltweit die ökonomischen Alternativen einen steten Zulauf erhalten. So hat sich in vielen gesellschaftlichen Nischen auf der Welt eine konviviale Ökonomie durchgesetzt, die regional orientiert, wachstumskritisch (degrowth) und gemeinwohlorientiert ist und auf Resilienz gegenüber externen wirtschaftlichen Schocks setzt. Das wirtschaftliche Trans- formationspotential dieser ökonomischen Praktiken ist aufs Ganze gesehen jedoch recht gering, nicht nur, weil antagonistische wirtschaftliche Interessen weiterhin großen politischen Einfluss haben, sondern auch, weil es der alternativen ökonomischen Bewegung an einem intellektuell und politisch wirk- mächtigen Netzwerk gefehlt hat, wie es etwa für den Neoliberalismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Mont Pellerin Gesellschaft kennzeichnend war.

Damit einher geht die Fortsetzung gesellschaftlicher Spaltungen entlang der Dimensionen von Einkommen und Vermögen. Während die Einkommensungleichheiten keinen Zuwachs mehr erfahren haben, ist es nicht gelungen, auf effektive Weise die Vermögensungleichheiten weltweit zu bekämpfen. Die schon nach der Finanzkrise von 2008 lauter werdenden Stimmen, die eine effektive Bekämpfung der Vermögensungleichheit forderten, konnten sich in den folgenden Jahren global nicht durchsetzen.[2] Zwar ist die Ungleichheit in Europa seitdem moderat zurückgegangen, dafür nahm sie in den USA und in den BRICS-Ländern stetig zu, unter anderem aus Angst vor Steuerflucht und aufgrund neuer Steueroasen. Ausnahmen gibt es auch: So sind die skandinavischen Länder seit den späten 2020er Jahren zu ihrem egalitären Wohlfahrtsmodell zurückgekehrt, verfolgen dafür aber eine nationale Strategie der Homogenisierung von Bevölkerungen und lassen Migration nur noch sehr selektiv zu.

So wie schon vor Jahrzehnten vorausgesagt hat die weltweite Migration rapide zugenommen. Viele Millionen von Menschen sind jährlich auf der Flucht vor Kriegen und Umweltkatastrophen. Gab es zu- nächst noch Versuche, geordnete Migration in den globalen Norden über Asylverfahren zuzulassen, sind die Länder des Nordens mittlerweile komplett dazu übergegangen, Migration sicherheitspolitisch einzuhegen. Die Zahl an Flüchtlingslagern hat seit dem Jahr 2026 (dem Jahr der „great global drought“) exponentiell zugenommen. Eine Reaktion hierauf war auch die Gründung der Mittelmeerunion im Jahr 2029, die vor allem zum Ziel hat, die Grenzen Europas nach außen zu erweitern und Migration nach Europa zu verhindern – mit menschenrechtlich bedenklichen Konsequenzen.

Das Thema Migration ist mit den massiven ökologischen Veränderungen auf der Erde verflochten und führt uns zur größten Veränderung der letzten 30 Jahre. Glaubte man lange Zeit, dass die Erdsystemwissenschaften mit ihren Warnungen vor der anthropogenen Erderwärmung übertrieben, wurde von Jahr zu Jahr deutlicher, dass die Erde den „safe operating space for humanity“ verlassen hat.[3] Insbesondere drei Systeme haben die planetaren Grenzen so deutlich überschritten, dass die Theorie der Kipppunkte vor rund 15 Jahren auch empirisch bestätigt wurde. Der Verlust an Biodiversität, die Erderwärmung und die Eingriffe in den Stickstoffhaushalt haben eine Dynamik freigesetzt, die bisher nicht wissenschaftlich vorhersagbar ist. Tipping Points, die nach einer langen Latenzperiode mit einem relativ plötzlichen Umschwung einsetzen, haben das Erdsystem nun grundlegend verändert. Die früher vorherrschende Vorstellung, dass menschliche Gesellschaften vor dem Hintergrund einer relativ stabilen Natur ihre Geschichte unabhängig von der Naturgeschichte schreiben, ist völlig obsolet geworden.[4] Dennoch tun sich die Sozialwissenschaften immer noch schwer damit, ihr analytisches Instrumentarium so umzustellen, dass die Verschränkungen nicht-menschlicher („natürlicher“) und menschlicher Temporalitäten aus einer allgemein ökologischen Perspektive untersuchbar werden.[5] Dementsprechend ist die Erdsystemforschung schon seit Langem zur wissenschaftlichen Leitdisziplin avanciert.

Der Ausstoß an CO2 konnte im globalen Norden schrittweise reduziert werden. Die Staaten fanden nach der Corona-Krise zu neuer Handlungsmächtigkeit zurück, und ein Green New Deal reduzierte ab dem Jahr 2022 in mehreren Ländern des globalen Nordens die Emissionen. Die Erfolge dieser Emissionsreduktion reichten jedoch bei Weitem nicht aus, um das einst in Paris offiziell proklamierte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen, einzuhalten. Realpolitisch ging man auch damals schon davon aus, dass die Erderwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts bei 3,5 bis 4 Grad liegen würde. Zu gemeinsamen klimapolitischen Entscheidungen der Weltgemeinschaft kam es nicht, da karbongetriebene Länder wie die USA, Russland, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten immer wieder kollektive Regelungen unterminierten. Ein Übriges taten Reboundeffekte, das Wachstum der Ökonomien im globalen Süden verbunden mit dem Bevölkerungswachstum vor allem auf dem afrikanischen Kontinent (derzeit liegt die Weltbevölkerung bei rund 9,5 Milliarden Menschen). Eine immer größer werdende globale Mittelschicht zeigt einen weiter wachsenden Energiebedarf. Im Jahr 2045 wurde eine Erderwärmung um 2 Grad erreicht, und es scheint sehr wahrscheinlich zu sein, dass sich die weitere Erwärmung nicht mehr graduell, sondern sprunghaft und selbstverstärkend vollziehen wird. Momentan lautet die Prognose, dass die Drei-Grad-Grenze zwischen dem Jahr 2065 und 2075 erreicht sein wird.[6] Dies wird die existierenden Probleme mit der weltweiten Wasserversorgung nochmals massiv verschärfen und die für Menschen bewohnbaren Räume werden sich weiter verkleinern; weitere Konflikte und Kriege drohen hier.

Schon in den letzten 25 Jahren sah man eine gesteigerte Versicherheitlichung und Militarisierung der Klimapolitik.[7] Es geht gerade den militärisch, wirtschaftlich und politisch einflussreichen Ländern um die Sicherung wichtiger Ressourcen wie Energie, Wasser, Boden und Nahrungsmittel. Einige Städte haben sich hingegen zu grünen Zentren von Nachhaltigkeit und Resilienz entwickelt (in Japan, Deutschland, Skandinavien und Kanada bspw.) – auch durch die Nutzung von KI und die Digitalisierung aller Lebensbereiche. Viele Megastädte des Südens stehen dagegen regelmäßig vor dem infrastrukturellen Kollaps durch Wassermangel, Hitzewellen, Überschwemmungen und Stürme und nutzen digitale Technologien als Frühwarn- und Überwachsungsinstrumente ganzer Bevölkerungsgruppen.

Diskutierte man vor ca. 30 Jahren noch das Für und Wider von Maßnahmen des Geo­Engineering, sind sie nun schon seit rund 25 Jahren fester Bestand klimapolitischer Maßnahmen. Es wurde deutlich, dass Carbon Capture Storage nur in geringem Ausmaß half, CO2-Emissionen zu reduzieren. So begann man ab dem Jahr 2031 mit großflächigen technologischen Eingriffen in das Erdsystem (teilweise unter großem Protest einzelner Nationen des Südens). Die Düngung der Ozeane wurde im Jahr 2042 wegen nicht vorhergesehener Rückkopplungsschleifen mit den maritimen biochemischen Kreisläufen gestoppt. Die Austragung von Aerosolen in der Erdatmosphäre ist – trotz der messbaren Reduktion der Sonneneinstrahlung – wegen der massiven Rückwirkungen auf die atmosphärischen Prozesse mit starken Wetterschwankungen ebenfalls äußerst umstritten. Viele soziale Bewegungen aus dem Norden und dem Süden fordern Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf, die Hybris aufzugeben, das Erdsystem hin zu einem „guten Anthropozän“ steuern zu wollen. Sie beziehen sich dabei auf einen schon im Jahr 2020 erschienenen Text, der generell menschliche Hybris anprangert und stattdessen für Selbstbegrenzung und eine Konvivialität unter Menschen und Nicht-Menschen plädiert.[8]

Die Konstellationen sind von Region zu Region extrem unterschiedlich, was auch darauf zurückzuführen ist, dass das Leitbild der westlichen Moderne – machtvoll zunächst durch den europäischen Kolonialismus und dann durch die USA als Hegemon gestützt – nicht mehr allgemeinverbindlich anerkannt wird. Die USA haben ihre weltpolitische Rolle als Hegemon, der zugleich globale öffentliche Güter bereitstellt, schon vor den Jahren der Trump-Administration abgelegt. China ist zum neuen weltpolitischen Akteur mit großer politischer, militärischer und wirtschaftlicher Dominanz aufgestiegen, doch scheut sich das Land auch heute noch, Verantwortung für globale Commons zu übernehmen. Dies ist wiederum auf innere Konfliktlagen (Demokratieansprüche der Mittelschichten) zurückzuführen, für die das autoritäre Land bisher keine integrativen Antworten findet.

Die drei Ordnungsprinzipien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Bestand bis in die 2010er Jahre hatten, liberale Demokratie, marktwirtschaftlicher Kapitalismus und eine pluralistische und individualistische Kultur, sind nur noch in einigen Ländern stark und lebendig. Sie sind zunehmend von rechtspopulistischen Bewegungen unter Druck geraten, und Gegenprojekte von starker, illiberaler Nationalstaatlichkeit (gepaart mit Vorstellungen homogener Gemeinschaften) liegen in einem permanenten Konflikt mit den Verteidigern individueller Freiheitsrechte. Die Idee der Menschenrechte ist auch durch gemeinwohlorientierte, anti-individualistische Konzepte einer relationalen Rationalität (im Chinesischen: Tianxia) unter Druck geraten.[9]

Bewegungen, die Liberalität und Gemeinwohlorientierung versöhnen könnten, sind in manchen Ländern durchaus entstanden, doch die meisten Nationen haben in den letzten 20 Jahren autoritäre Phasen des Ausnahmezustands und den Zerfall von etablierten politischen und sozialökonomischen Ordnungen erlebt. Krisenkapitalistische Unternehmen wie Sicherheitsunternehmen profitieren von diesem Zerfall und die Krisenökonomie (die staatliche hier inkludiert) macht mittlerweile schon 27% des weltweiten BIP aus. Zugleich sind weite Teile der Bevölkerungen konstant durch Arbeitslosigkeit (her- vorgerufen durch die Digitalisierung seit den 2020er Jahren) bedroht, kompensiert nur durch ein Grundeinkommen, das in 2/3 aller Gesellschaften eingeführt wurde.

Im Bereich der Kultur konnten wir über die letzten 30 Jahre vor allem einen religiösen Wandel erleben, der durch die neuen sozialen und ökologischen Konfliktlinien gespeist wird. Verschiedene Sakralisierungsprozesse waren zu beobachten: herkömmliche Wiederbelebungen von Kollektivsakralisierungen in Form von Nationalismus oder Rassismus, aber auch neue immanente Sakralitäten, die Gaia, Natur oder Naturaspekte als heilig betrachten. Die Erde, der Kosmos – all diese Entitäten sind im neuen Zeit- alter des Anthropozäns sakralisiert worden – hier erleben wir gerade erst die Anfänge. Am auffälligsten und wirkmächtigsten sind gegenwärtig kollapsologische Vorstellungen, die sich mit apokalyptischen verbunden haben. Hier wird ein religiöses Narrativ eines eschatologisch notwendigen Kollapses gepflegt, das weiteren Bemühungen um Nachhaltigkeit im Wege steht.

Insgesamt ist unsere Zeit von sehr gegenläufigen Prozessen, Widersprüchlichkeiten, Konflikten, Innovationen und normativen Regressionen gekennzeichnet. Mancherorts fällt man weit hinter ein schon erreichtes Niveau von Zivilisiertheit zurück, andernorts werden neue Transformationsideale vertreten. Sprach man im Jahr 2019 noch von drei unterschiedlichen möglichen Entwicklungspfaden der Modernisierung, Transformation oder Kontrolle[10], wurde zunehmend klar, dass das Modernisierungsparadigma mit dem Kontroll- und Sicherheitsparadigma verschmolz und der Transformationspfad nur in gesellschaftlichen Nischen auf lokaler oder regionaler Ebene reüssierte. Die Zukunft erscheint aus dem Jahr 2050 betrachtet zwar als offen, allerdings ist diese Offenheit weit entfernt von den Zukunftsvorstellungen der Moderne, die noch – aus heutiger Sicht – geradezu naiv an die Kategorie des Fortschritts für alle glaubte.

Frank Adloff hat die Professur für Soziologie, insbesondere Dynamiken und Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft an der Universität Hamburg inne und leitet dort das Cluster zum Thema Nachhaltigkeit und im Besonderen die DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“. Davor war er Professor für die Soziologie Nordamerikas am John F. Kennedy Institut der FU Berlin und hatte den Lehrstuhl für Allgemeine und Kultursoziologie an der FAU Erlangen-Nürnberg inne. Er forscht und publiziert u.a. zu Soziologischen Theorien, Zivilgesellschaft, Konvivialismus, Nachhaltigkeit und alternativen Ökonomien. Darüber hinaus nimmt er auch in Gastbeiträgen immer wieder öffentlich Stellung zu diesen Themen. 

[1]     Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise: Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. München: Oekom.

[2]     Piketty, Thomas (2020): Kapital und Ideologie. München: Beck.

[3]     Rockström, Johan u.a.: “A safe operating place for humanity”, in: Nature Nr. 461 vom 24.9. 2009, S. 472-475.

[4]     Horn, Eva (2020): “Tipping Points: Das Anthropozän und Corona”, in: Frank Adloff/Sighard Neckel (Hg.): Gesellschaftstheorie im Anthropozän. Frankfurt/New York: Campus.

[5]     Chakrabarty, Dipesh (2018): “Anthropocene Time”, in: History and Theory 57 (1), S. 5–32.

[6]     Spratt, David (2019): “Revisiting the Climate Collapse: The view from Nuuk in the year 2070”, in: Bulletin of the Atomic Scientists, S. 1-6.

[7]     Dalby, Simon (2017): “Anthropocene Formations: Environmental Security, Geopolitics and Disaster”, in: Theory, Culture & Society, 34 (2-3), S. 233-252.

[8]     Les Convivialistes (2020): Second Manifeste Convivialiste. Pour un Monde Post-Néolibérale. Arles: Acte Sud.

[9]     ZHAO Tingyang (2020): Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung. Berlin: Suhr- kamp.

[10]   Adloff, Frank/Neckel, Sighard (2019): »Modernisierung, Transformation oder Kontrolle? Die Zukünfte der Nachhaltigkeit«, in: Klaus Dörre (Hg.): Große Transformation? Zur Zukunft moderner Gesellschaften. Sonder- band des Berliner Journals für Soziologie. Wiesbaden: Springer VS, S. 167–180.