KOMMENTAR

MORE: Universitäten nehmen Verantwortung für Flüchtlinge wahr
Unter dem Eindruck der Ereignisse im Sommer 2015, die sich in den Bildern von Budapest, von Spielfeld, vom Westbahnhof und vom Burgenland eingeprägt haben und rückblickend eine Zäsur darstellen, die Europa verändert hat, entstand vor einem Jahr die Idee zur Initiative MORE der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko). Das „an die Grenzen Kommen“ geflüchteter Menschen löste eine in dieser Form nicht bekannte Bewegung in der Zivilgesellschaft aus, die zum Entstehen zahlreicher Initiativen zur Unterstützung der Geflüchteten führte, um politische Überforderung und staatliches Versagen zu kompensieren. Viele dieser Initiativen wurden von Studierenden und Angehörigen der Universitäten organisiert, die sich ehrenamtlich engagierten. Dieses individuelle Handeln war und ist immer noch Grundvoraussetzung, dass die Universitäten als Institutionen erfolgreich aktiv werden konnten. Über dieses Engagement der Einzelpersonen hinaus, wollten die Universitäten mit der MORE-Initiative sichtbar machen, dass sie ihre Verantwortung in der Gesellschaft wahrnehmen.
Diese Verantwortung sehen die Universitäten allerdings nicht in der Übernahme staatlicher Aufgaben, sondern in jenem Bereich, der ihre eigentliche Tätigkeit ist. Ihre Rolle ist auch nicht jene der Caritas, sondern es geht darum, Geflüchtete an die Universitäten zu holen und ihnen Zugang zu Bildung zu ermöglichen. MORE ist eine Einladung an diese Menschen, sich Perspektiven für ein Studium zu eröffnen, ihr Wissen und ihre Sprachkenntnisse zu entwickeln. MORE bietet aber auch – im Gegensatz zur Asylunterkunft – einen Ort der Normalität, in dem sich die Menschen nicht über nur den Status „geflüchtet“ definieren müssen. Mit ihrem Studierendenausweis sind sie Teil der internationalen, vielsprachigen und diversen „universitas“ der Lehrenden und Studierenden. Ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen stehen im Vordergrund, nicht ihre Herkunft oder ihr Fluchtschicksal.
Good Practice. Das Angebot von MORE wurde im Pilot-Semester (WS 2015) von 663 Personen angenommen, im Sommersemester 2016 waren es bereits 1106 MORE-Studierende. Zusätzlich haben viele Universitäten Förderstipendien aufgelegt und das Thema Flucht und Integration im Rahmen von wissenschaftlichen Projekten und Lehrveranstaltungen aufgegriffen. Mit MORE haben die Universitäten auch außerordentlich hohe öffentliche Sichtbarkeit erlangt, sowohl international als auch national. Das Projekt wurde von der EU-Kommission als Good Practice vorgestellt und tatsächlich gibt es keinen Staat, in dem sich alle Universitäten landesweit zu einer vergleichbaren Initiative zusammengetan haben. Auf nationaler Ebene war ein positives Highlight die Nominierung für den Mig Award 2016, insgesamt erschienen über MORE zwischen September 2015 und September 2016 über 150 Berichte in Print- und Online-Medien.
Als die wenig lichtvollen Momente öffentlicher Wahrnehmung können wohl die vier parlamentarischen Anfragen der FPÖ angesehen werden, die in Sorge um eine mögliche Benachteiligung österreichischer Studierender das Parlament unter anderem mit der Frage beschäftigt hat, „wie viele Streicher (Violine, Viola, Cello, Kontrabass), sehr geübte Bläser oder Schlagwerker sich bis dato für das Universitätsorchester der Universität Salzburg angemeldet [haben]“.
Verbale Unterstützung kommt erfreulicherweise immer wieder von Bundesminister Reinhold Mitterlehner, wie erst in seinem jüngsten Pressegespräch. Was von Seiten des Ressorts aber fehlt, ist finanzielle Unterstützung. Weder vom Wissenschafts- noch vom Integrationsministerium ist bisher ein Cent in die Initiative geflossen – übrigens auch eine europäische Einmaligkeit, da in anderen Staaten, wie z.B. Deutschland oder Schweden, die Regierungen durchaus Förderungen für Einzelinitiativen der Universitäten bereitstellen. Mindestens so wichtig wie Geld wäre auch die Umsetzung einiger Maßnahmen.
Spracherwerb. Tatsächlich scheitert der Zugang zum Studium – das hat die Erfahrung mit MORE-Studierenden deutlich gezeigt – an grundlegenden Dingen, nämlich dem Spracherwerb und der finanziellen Lage der Studierenden. Konkret braucht es Stipendien für die Absolvierung des Vorstudienlehrganges und zielgruppenspezifische Intensiv-Deutschkurse bis Niveau C1. Eine weitere sinnvolle und einfache Maßnahme wäre die Öffnung der Studienberechtigungsprüfung auch für Nicht-EWR-Staatsbürgerinnen und -Staatsbürger. Damit Geflüchtete aber überhaupt auf diese Angebote zugreifen können, brauchen sie Menschen an ihrer Seite, die mit dem Verwaltungssystem genauso wie mit dem Universitätsalltag vertraut sind. Das derzeitige (ehrenamtliche) Buddy-System sollte finanziell honoriert und durch Supervisionsangebote gestützt werden.
Dieselben Maßnahmen sind auch für Personen vorzusehen, die ihr ausländisches abgeschlossenes Studium von einer Universität anerkennen, d.h. nostrifizieren lassen wollen, um Zugang zu einem Beruf zu erlangen. Auf den Punkt gebracht: Ein treffgenaues Stipendiensystem ist mit Sicherheit eine bessere Investition von Steuergeldern, als die vielgesuchten „klugen Köpfe“ möglicherweise jahrelang in der Abhängigkeit von Sozialleistungen zu halten. Hier ist die Politik gefordert, eine zielgenaue Anpassung der Förderinstrumente vorzunehmen.

