KOMMENTAR
_tea.jpg)
Medizin-Unis zwischen Ärzteschwemme und -mangel
Namhafte Vertreter von Spitalsträgern, wie zum Beispiel die Gesundheitslandesräte aus Tirol und dem Burgenland, fordern derzeit aufgrund eines angeblichen „Ärztemangels“ eine Aufstockung der Zahl an Studienplätzen für Medizin sowie eine Erhöhung der Zahl der sieben bereits bestehenden Ausbildungsstandorte für Medizin. Der Vorarlberger Ärztekammerpräsident identifiziert im Aufnahmeverfahren für Medizin das Problem, weil zit. „ … der Test nur hochintelligente, kritische Zeitgeister herausfiltert, die nichts von der Peripherie wissen wollen". Sind diese öffentlich geäußerten Positionen durch Fakten unterlegt und nachvollziehbar?
Glaubt man der veröffentlichten Meinung, so war die Ärztedichte in Österreich in den letzten 70 Jahren nie normal: Das Pendel schwang nach 1945, vor allem aufgrund der Vertreibung jüdischer Ärzte (an der Medizinischen Fakultät Wien 70 Prozent des Kollegiums) von „Mangel“, zu „Schwemme“ in den 1980er Jahren (damals ca. 20.000 Ärzte) und nun also angeblich wiederum zu „Mangel“ (derzeit ca. 45.000 Ärzte). Vor Einführung eines Aufnahmeverfahrens 2005 studierten in Wien mit bis zu 16.000 Studentinnen und Studenten etwa 30mal so viele Personen Medizin als an der Harvard Medical School. Die Absolventenquote rangierte allerdings nur bei ca. 50 Prozent. Österreich hatte eine zwei- bis dreimal so hohe Ärzte- und Absolventendichte wie vergleichbare Länder. Noch 2005 wurde in österreichischen Medien daher von einer Ärzteschwemme gesprochen, die Ärztekammer betrieb eine mediale Kampagne gegen das Medizinstudium und vom Bundesinstitut für Gesundheit (ÖBIG) wurden 20.000 arbeitslose Mediziner im Jahr 2010 vorhergesagt.
Mäßige Standortqualität. Der jahrzehntelange Überschuss an schlecht bezahltem und ineffizient eingesetztem ärztlichen Personal hatte einen problematischen Effekt: Einrichtungen der Gesundheitsversorgung wurden nicht nur aus medizinischer Notwendigkeit sondern aus Gründen lokaler Arbeitsmarktpolitik errichtet. Die derzeitige Struktur der österreichischen Gesundheitsversorgung benötigt daher aufgrund eines mittlerweile bestehenden Pflegekräftemangels und eines Mangels an Administrativkräften eine international unüblich hohe Zahl an minderqualifiziert eingesetzten Ärzten. Die mäßige Standortqualität wird dadurch unterstrichen, dass Österreich derzeit nur etwa vier Prozent im Ausland ausgebildete Ärzte beschäftigt, der OECD Schnitt liegt bei 17 Prozent. Dieser Trend müsste durch umfangreiche Qualitätsmaßnahmen der Gesundheitsstrukturen umgedreht werden.
Die historisch gewachsene Situation wurde nun durch zwei EU-Gesetze (1) Arbeitszeitrichtlinie / Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KAAZG) und (2) Moratorium zu Quote für österreichische Studienplatzvergabe drastisch verschärft. Österreich bildet noch immer deutlich mehr Medizinabsolventen aus als z.B. Schweden oder die Niederlande. Mehr als 30 Prozent eines Medizinerjahrgangs möchte jedoch derzeit aufgrund der unattraktiven Arbeitsbedingungen nach Studienabschluss nicht in Österreich arbeiten. Absolventinnen und Absolventen eines erstklassigen Gratis-Medizinstudiums, das den Steuerzahler 60.000 Euro pro Jahr kostet, haben sich daher in den letzten Jahren zu einem österreichischen „Exportschlager“ entwickelt. Ursache lokaler Versorgungsprobleme ist daher jedenfalls nicht eine zu geringe Absolventeninnen- und Absolventenzahl.
Unkoordinierte Standortgründung. Die Aufforderung an bestehende Universitäten, noch mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, ist daher angesichts der ohnehin hohen Zahlen von Absolventinnen und Absolventen ein nicht zielführender Zugang zum Thema und würde die Situation weiter verschärfen. Die von einigen Bundesländern (vor allem in ihrer Funktion als Spitalsträger) betriebene unkoordinierte Gründung teilprivater, forschungsfreier Ausbildungsstandorte für Medizin außerhalb der etablierten Universitätsstandorte würde zu einer weiteren Schwächung des medizinischen und akademischen Standortes führen. Auf die Spitze getrieben wurde in diesem Zusammenhang die Diskussion vom Vorsitzenden der Privatuniversitäten-Konferenz, der forderte, dass die öffentlichen Medizin-Unis vorwiegend Studenten „aus benachteiligten Schichten“ ausbilden sollten.
Entscheidend wäre, das österreichische Versorgungssystem zukunftsfit und für junge Mediziner attraktiv zu gestalten. Kurzfristig wäre ein Stipendiensystem mit Bleibeverpflichtung eine mögliche Strategie.