#NEUERREKTOR
"Ich wünsche mir einen Emanzipationssprung Europas"
Bernhard Fürgenschuh, Rektor der Universität Salzburg, über sein Arbeitsprogramm im sich rasant ändernden globalen Umfeld
Lassen Sie mich mit einer für Salzburg typischen Begegnung, nämlich einer Begegnung mit der Trias aus Musik, Literatur und Stadt, beginnen. Im Mirabellpark findet sich folgendes Gedicht, dessen letzte Strophe lautet:
„Ein weißer Fremdling tritt ins Haus
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge
Die Magd löscht eine Lampe aus
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge“
Wenn der Fremdling aus Tirol dem Wahltiroler Georg Trakl bereits in den ersten Tagen literarisch begegnet, dann hallen die Worte dieses großen Schriftstellers nach. Und sie instrumentalisieren sich im wahrsten Sinne des Wortes unmittelbar darauf und stetig weiter, klingen doch (nicht nur) Sonaten aus allen Fenstern dieser Stadt.
Ja, es ist mitunter eine große Veränderung, auch wenn man nur von Innsbruck nach Salzburg wechselt. Von der omnipräsenten Sportausrüstung in Innsbruck zur omnipräsenten Kultur in Salzburg.
Ich darf sagen, dass ich tatsächlich überwältigt bin. Von der Stadt, die 1996 in die Liste als UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen wurde, wobei eines der Kriterien lautete: „Salzburgs Verbindung zu den Künsten ist bemerkenswert, insbesondere zur Musik“
Aber gleichermaßen beeindruckt bin ich von der Universität, die nicht nur dank ihrer wunderschönen und zahlreichen Gebäude inmitten dieser historischen Altstadt in vielerlei Hinsicht sichtbar ist und Präsenz zeigt. Dieses Miteinander von Stadt und Universität kann zum Nutzen beider Seiten weiterentwickelt werden, sodass es bald heißen könnte: „Salzburgs Verbindung zur Universität ist bemerkenswert, insbesondere zu seinen Studierenden.“
Ich darf mit Freude sagen, dass ich in den wenigen Wochen bereits wunderbare Begegnungen hatte und Erfahrungen sammeln durfte. Von der charmanten und effizienten Übersiedlungsunterstützung über einen Spontanbesuch am Standort Itzling, eine Lesung zum 100. Todestag von Woodrow Wilson auf der Edmundsburg mit einer von Julia Stemberger gelesenen „Sternstunde der Menschheit“, einen Stefan-Zweig-Termin bei Landeshauptmann Haslauer im Chiemseehof, der alle Anwesenden in gleicher Weise berührte, oder aber der Besuch von Jane Goodell, vormittags hier an diesem Ort, abends im kleineren Kreis in der wunderschönen Bibliotheksaula. So viele namhafte Persönlichkeiten und herzliche Begegnungen, so viele offene Arme, so viel an Kooperationsbereitschaft, die geäußert wurde. Und jedes Mal konnte ich Bereicherndes mitnehmen. Beispielgebend darf ich den Besuch bei Erzbischof Lackner nennen, der mir folgendes, für uns alle im täglichen und intensiven Miteinander sehr hilfreiches Zitat mit auf den Weg gab: „Verstehen Sie mich nicht zu schnell!“
Tatsächlich kann es nicht schaden, etwas länger zuzuhören und Antworten erst nach einer Bedenkzeit zu geben. Aber, verehrte Universitätsangehörige, keine Sorge, ich werde meine Bedenkzeit deshalb nicht in geologische Dimensionen strecken.
Herausforderungen, Erfolge und Pläne
Ich könnte Ihnen nun von den großen und zahlreichen Herausforderungen und Verwerfungen berichten, mit denen auch Universitäten konfrontiert sind. Seien es (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) die Digitalisierung, die Nachwirkungen der Coronakrise, die gesellschaftliche Polarisierung, die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die wieder näher gerückten kriegerischen Auseinandersetzungen, oder die nach wie vor in ihren Auswirkungen massiv unterschätzte Klimaveränderung.
Ich könnte weiters fortfahren und Ihnen auch von den unzähligen und sehr unterschiedlichen Forschungsaktivitäten in allen Fachbereichen berichten. Von den Staatspreisen für die Professorinnen Christina Antenhofer und Angelika Lahnsteiner, aber auch von drei im Jahr 2024 erfolgreich eingeworbenen ERC Grants, dem starting grant für Kollegin Kinski (Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, FB Politikwissenschaften), dem advanced grant für Kollegen Dür (Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, FB Politikwissenschaften) und dem synergy grant für Kollegen Lang (Natur- und Lebenswissenschaftliche Fakultät, Fachbereich Umwelt & Biodiversität).
Natürlich könnte ich Ihnen auch von den curricularen Entwicklungen an der Universität Salzburg berichten, wo es darum geht, gemeinsam das Studienangebot zu betrachten und ggf. weiterzuentwickeln, um den genannten Herausforderungen zu begegnen sowie den geänderten gesellschaftlichen Realitäten gerecht zu werden. Die Stichworte hier lauten: Flexibilisierung für Studierende und Entlastung für Lehrende. In diesem Zusammenhang könnte auch genannt werden, dass die Universität Salzburg unter den „Volluniversitäten“ die prüfungsaktivsten Studierenden hat. Diese Spitzenposition wollen wir halten und weiter ausbauen.
Oder ich berichte Ihnen über die gestarteten Anstrengungen, die digitale Verwaltung voranzutreiben, Anstrengungen zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe für mehr Transparenz sowie zu Karrierewegen und Entwicklungsmöglichkeiten für das wissenschaftliche wie allgemeine Personal. Ebenso höchste Aufmerksamkeit verdienen alle Aspekte der Gleichbehandlung und Inklusion. Aufmerksamkeit und Wachsamkeit von uns allen sind nicht nur in diesem Zusammenhang gefragt, es kann nie falsch sein, aufmerksam und „wach“ zu sein. Oder gilt dies nur so lange, bis wir es ins Englische übersetzen: Wokeness?
"Wir dürfen nicht blauäugig sein"
Nicht uninteressant wäre es auch, über Fragen zur Internationalisierung zu sprechen. Hier spielt die sich rasant ändernde globale Situation eine entscheidende Rolle, sprechen wir doch im Bezug auf zahlreiche (und mehr werdende?) Länder etwa über „foreign interference“. Die Bewusstmachung solcher strategischen Aktivitäten muss mit unserem gewohnt offenen wissenschaftlichen Austausch genau abgestimmt werden. Wir können und dürfen nicht (mehr) blauäugig agieren. Als begeisterter Europäer wünsche ich mir ein gesteigertes Selbstbewusstsein Europas, einen Emanzipationssprung. Der kleine Beitrag, den die Universität Salzburg hier leisten kann, findet sich im Civis Netzwerk, das alle Möglichkeiten bietet, die Chancen einer European University zu nutzen und Europa damit zu stärken.
Ebenso notwendig wäre eine Diskussion zu Kooperationen. Mit anderen Bildungseinrichtungen, am Standort, im Land, in Europa und global. Mit der Wirtschaft, der Kunst, dem Sport, der Gesellschaft, mit der Politik sowie Nichtregierungsorganisationen. Hier besticht das enorme Innovationspotential von Universitäten, d.h. all ihrer Ausrichtungen und Fachbereiche. Innovation muss viel breiter gedacht werden, um mehr Menschen zu involvieren und, der Definition von Innovation entsprechend, diese auch stattfinden zu lassen.
Eine Universität für Stadt und Land
Wie wäre es mit einer ausführlichen Diskussion zum Thema Demokratieverständnis und Wissenschaftsskepsis? Wie interpretieren wir die völlig konträren Wahlergebnisse und gegenläufigen Entwicklungen zwischen städtischen und ländlichen Bereichen? Warum kann man etwa die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel leugnen, sich gleichzeitig aber in ein Auto setzen und telefonieren? Es wird unser aller Anstrengungen bedürfen, hier gegenzusteuern. Die Universität Salzburg wird hier den Namensvorteil zu nützen suchen. Wir sind die Universität Salzburg und somit gleichermaßen die Universität von Stadt und Land.
Über all dies (und noch viel mehr) müssen und werden wir in den kommenden Jahren nicht nur sprechen, sondern bestmöglich auch ins Handeln kommen müssen. Die vielen Herausforderungen sollen und können uns hierbei nicht abschrecken. Viele Probleme treffen auf viel mehr Menschen. Menschen mit Kreativität, Kompetenz, Leistungswillen und Begeisterung. Und sind nicht gerade Herausforderungen das Tagesgeschäft einer Universität?
Worüber ich aber eigentlich sprechen möchte - und meine vorherigen Ausführungen sind vollumfänglich dabei inkludiert - ist die Frage nach der „besten aller Welten“.
Kompromiss und Optimismus
Die These bzw. das Postulat von Gottfried Wilhelm Leibniz, dass wir in „der besten aller möglichen Welten“ leben, benötigt und inkludiert auch die Begriffe des Kompromisses sowie des Optimismus. Ist es dort der „göttliche“ Kompromiss zwischen maximaler Vielfalt und maximaler Ordnung, so ist der Kompromiss meines Erachtens ein wesentlicher Faktor politischen und damit auch universitätspolitischen Handelns. Während Wissenschaft als universitäre Kernkompetenz den Kompromiss nicht kennen kann (ist die Erde eine Kugel oder doch wieder eine Scheibe und sollen wir in dieser Diskussion einen Kompromiss eingehen?), ist universitäres Management für mich immer die Herausforderung, im Vorwärtskommen tragbare Kompromisse zu finden. Zwischen dem Schwarz und Weiß der Wissenschaft kommt hier die große Bandbreite der Graustufen zum Tragen. Und so kann sich die beste aller möglichen Universitäten bilden, mit dem Optimismus im Sinne des philosophischen Modells aber auch als Motor, mit dem Kompromiss als Treibstoff. Nicht nur die Jugend, aber gerade diese hat unseren Optimismus und unseren Glauben an die beste aller möglichen Welten nötig und auch verdient. Lassen Sie mich schließen mit Kant in Abwandlung eines Voltaireschen Zitats: „Lasst uns unser Glück besorgen, in den Garten gehen und arbeiten!“
Auszüge aus der Inaugurationsrede von Rektor Bernhard Fügenschuh, gehalten am 25. November 2024. Fügenschuh ist seit 1. Oktober 2024 Rektor der Universität Salzburg