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Nationalratswahl 2024: Wie halten Sie es mit der Wissenschaft: Vier Fragen der UNIKO an die wahlwerbenden Parteien

Die Frage, wie es die politischen Parteien mit der Wissenschaft halten, ist nicht allein ein Thema für Studierende, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen. Damit Wissenschaft sich entfalten kann, braucht sie die richtigen Rahmenbedingungen, die der neu gewählte Nationalrat in der kommenden Legislaturperiode gestalten wird. Zugleich ist die Politik auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Expertise angewiesen, um auf deren Grundlage fundierte Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit zu treffen.

Die uniko hat daher vor der Nationalratswahl die derzeit im Parlament vertretenen Parteien zu ihren Positionen und Programmen befragt. Unten lesen Sie die Antworten. (Die dargestellte Reihenfolge der Parteien orientiert sich am Stimmenanteil 2019). Eine Zusammenfassung der Antworten gibt es hier.

Fragen an die Spitzenkandidat:innen der wahlwerbenden Parteien

1. Welche Rolle spielt bei Ihren politischen Entscheidungen wissenschaftliche Expertise?

Wissenschaftliche Expertise ist wesentlicher Teil evidenzbasierter Politik. Als Bundeskanzler berate ich mich regelmäßig mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aller Fachgebiete. Diese Beratungen fließen in alle politischen Entscheidungen ein, von der Ökonomie, über Technologie bis hin zur Migration oder Integration. Am Ende muss die Politik abwägen, Mehrheiten finden und entscheiden.

Eine wissenschaftliche Gesetzes- bzw. Technologiefolgenabschätzung ist unumgänglich für die Vorbereitung von politischen Entscheidungen. Im österreichischen Parlament konnte dies über die Initiative der damaligen Nationalratspräsidentin und SPÖ-Abgeordneten Barbara Prammer gewährleistet werden hinsichtlich der Einsetzung eines Technologiefolgenbeirates und einer Beratung über anerkannte österreichische Wissenschaftsinstitutionen wie zum Beispiel der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Austrian Institut of Technologies (AIT).
Unter SPÖ-Bundesparteivorsitzendem Andreas Babler wurde der SPÖ-Expert*innenrat ins Leben gerufen, dessen Ziel es ist, Zukunftskonzepte für alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche zu erarbeiten. Hunderte Expert*innen aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft erstellen dafür fachlich fundierte Konzepte.

Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) legt großen Wert auf eine fundierte Entscheidungsfindung, bei der verschiedene Expertisen, einschließlich wissenschaftlicher, berücksichtigt werden. Dabei ist es uns besonders wichtig, dass die Expertise umfassend ist und verschiedene Perspektiven abdeckt, um eine ausgewogene Grundlage für politische Entscheidungen zu gewährleisten.
Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass wissenschaftliche Expertisen nur eine Grundlage für politische Entscheidungen darstellen können. Letztlich liegt die Verantwortung für diese Entscheidungen bei den gewählten Politikern, die nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte in ihre Überlegungen einbeziehen müssen. Eine Delegation dieser Verantwortung auf Experten lehnen wir daher entschieden ab. Politische Entscheidungen erfordern eine umfassende Abwägung und letztendlich eine klare Verantwortung derjenigen, die vom Volk gewählt wurden.

Wissenschaftliche Expertise und Forschungsergebnisse sind uns Grünen sehr wichtig: Sie sind grundlegend für unser politisches Verständnis und auch handlungsanleitend. Es gibt aber in manchen Bereichen auch die Herausforderung, Klarheit zu bekommen, überall dort wo divergierende wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen – oder auch durch einen „Schulen-“streit begleitet. Ganz besonders in den Bereichen Klimaschutz, Umweltschutz, Verkehr, Gesundheit und Bildung sind die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse von aktueller und besonderer Bedeutung. Umso mehr muss die Grundlagenforschung und angewandte Forschung im universitären wie außeruniversitären Bereich umfassend staatlich gefördert werden. Wir finden auch wünschenswert, dass es im Parlament – wie das in Deutschland der Fall ist – einen umfassenden wissenschaftlichen Dienst analog zum Budgetdienst gibt.

Wissenschaftliche Expertise spielt bei NEOS eine zentrale Rolle in unseren politischen Entscheidungen. Entscheidungen evidenzbasiert zu treffen war von Beginn an eine zentrale Gründungsidee von NEOS. Daher haben wir uns auch vielfach und vehement für bessere Datenverfügbarkeit für die Wissenschaft eingesetzt.

2. Welche Punkte Ihres Wahlprogramms sind unter Heranziehung wissenschaftlicher Expertise formuliert worden?

Das Wahlprogramm der Volkspartei basiert in mehreren zentralen Punkten auf wissenschaftlicher Expertise. Bei den Ausarbeitungen unserer Forderungen und der Ausgestaltung unserer Arbeit haben wir großen Wert daraufgelegt, wissenschaftliche Positionen miteinzubeziehen. Mir ist etwa besonders wichtig, die Forschung in zentralen Zukunftsbereichen, wie Quantenphysik, Life Sciences, Künstlicher Intelligenz oder Mikrochips weiter voranzutreiben. Wissenschaftlicher Fortschritt in diesen Bereichen ist die Grundlage für einen innovativen und international wettbewerbsfähigen Standort Österreich. Darüber hinaus wollen wir den Wissenstransfer in Gesellschaft und Wirtschaft stärken und die Wissenschaftsskepsis in Österreich wirksam bekämpfen.

Die SPÖ steht für einen konstruktiven, wissenschaftsgeleiteten politischen Diskurs. So wurde die Basis des Wahlprogramms der SPÖ unter Beiziehung von wissenschaftlicher Expertise in Form eines Expert:innenrates erarbeitet. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind in die politischen Forderungen eingeflossen. Die Themenpalette des Expert:innenrates reicht von Klima, Energieversorgung und Wirtschaftsstandort über Bildung, Wissenschaft und Forschung bis zu Gesundheit, Internationales, Sicherheit, Arbeitsmarkt und Soziales. Die SPÖ stellt sich damit inhaltlich noch breiter auf, fördert den Austausch von Wissenschaft und Politik.

Siehe Antwort zu Frage 1

Wissenschaftliche Expertise und Erkenntnisse sind die Grundlage unserer Forderungen und Ziele bei nahezu allen Themen. Beim Klimaschutz und der Klimakrise, beim Umwelt- und Naturschutz und beim Verkehr: Alle in unserem Wahlprogramm genannten Forderungen und Ziele sind Schlussfolgerungen aus aktuellen Forschungsergebnissen. Wir sind auf die Wissenschaft angewiesen, um faktenbasiert argumentieren und Politik gestalten zu können. Aber auch bei vielen anderen Themen wie etwa Integration. Hier zeigen alle wissenschaftlichen Studien, dass Integration nicht durch Segregation in der Schule gefördert wird, sondern eben im Gegenteil: Im Bildungsbereich belegen ebenso zahlreiche Studien die Forderung der Grünen nach einer gemeinsamen Schule der 6-14-Jährigen. Genauso beziehen wir uns in der Bildungspolitik, der Gesundheitspolitik sowie in nahezu allen anderen Bereichen auf wissenschaftliche Erkenntnisse.

Unsere Programmatik entsteht an sich immer in einem partizipativen Prozess. Dazu gehört auch die Einbindung von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern. So sind etwa in unseren aktuellen Reformgruppen zu Bildung oder Entlastung Professorinnen der Verhaltswissenschaften oder Wirtschaftswissenschaften eingebunden gewesen. Unsere Parteiakademie NEOS Lab erstellt zudem immer wieder Papiere, die auch Grundlage für politische Forderungen sind, die von externen Wissenschaftern verfasst werden.

3. Was halten Sie von einem Ressort, in dem die Kompetenzen für Universitäten, Forschung und Innovation gebündelt wären?

Aus unterschiedlichen Ressortkonstellationen ergeben sich unterschiedliche Synergien. Die Zuständigkeiten für Wissenschaft und Forschung sind bereits im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gebündelt, was ich ausdrücklich begrüße. Innovation sowie die unternehmensbezogene Forschung sind derzeit im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sowie dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft angesiedelt. Mein Ziel ist es, Österreich als einen führenden Wissenschafts- und Innovationsstandort zu etablieren. Eine künftige Bündelung von Kompetenzen wird Ergebnis der nächsten Regierungsverhandlungen sein. Die Schnittstellen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung in und außerhalb der Hochschulen werden bereits jetzt in guter Zusammenarbeit der FTI Ressorts effizient ausgestaltet. 

Speziell für den Bereich der Forschungs-Governance hat sich die SPÖ immer für eine Zusammenfassung sämtlicher Forschungskompetenzen in einem Ressort eingesetzt. Von SPÖ-Minister:innen wurden diesbezüglich immer wieder Initiativen gesetzt (z.B. der vorbehaltlose Ausstieg des damaligen Verkehrsministeriums aus dem FWF).

Die Idee, die Kompetenzen für Universitäten, Forschung und Innovation in einem Ressort zu bündeln, ist aus unserer Sicht durchaus überlegenswert. Wichtiger für uns ist allerdings, dass alle Bildungsagenden, einschließlich des gesamten tertiären Bildungsbereichs, in einem Ressort gebündelt sind.
Gleichzeitig erkennen wir an, dass eine vollständige Zusammenführung des gesamten Forschungsbereiches aufgrund der realpolitischen Gegebenheiten schwierig umzusetzen wäre. Forschung findet in nahezu allen Ressorts statt und ist oft eng mit deren spezifischen Aufgaben verbunden. Dennoch erachten wir es als sinnvoll, zumindest die zentralen Bereiche der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung, deren Abgrenzung oft fließend ist, in einem Ressort zu vereinen. Dies würde eine kohärentere und zielgerichtetere Forschungsförderung ermöglichen und die Innovationskraft unseres Landes stärken.

Derzeit sind vor allem die Forschungsagenden und auch jene der „Innovation“ auf mehrere Bundesministerien verstreut. Eine Bündelung des tertiären Sektors – nicht nur der Universitäten – und der Forschung wäre sicherlich sinnvoll. Insbesondere für die Forschung wäre eine ministerielle Zuständigkeit wichtig und notwendig, um auch die durch die unterschiedlichen Ressortzuständigkeiten auftretenden Koordinierungsschwierigkeiten zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung zu verringern. Wir sind aber auch der Meinung, dass der gesamte Bildungsbereich ebenso in diesem Ressort sein und nicht wieder getrennt werden sollte. Was den Bereich der „Innovation“ betrifft, geht diese auf der einen Seite weit über die Kernaufgaben von Tertiärer Sektor/Wissenschaft/Forschung/Bildung hinaus und ist auf der anderen Seite diesen Bereichen inhärent.

Die Universitäten sind sowohl Forschungs- als auch Bildungseinrichtungen, insofern gibt es sowohl mit dem Bildungsressort als auch mit der außeruniversitären Forschung, Innovation und Technologieentwicklung Gemeinsamkeiten. Wir setzen uns dafür ein, mehr Transparenz und Effektivität in die vielfältige und manchmal recht kleinteilige und undurchsichtige Forschungsförderung zu bringen. Ein gemeinsames Ressort kann dafür hilfreich sein.

4. Wenn Sie das Wissenschaftsministerium zu besetzen hätten: Welche Kompetenzen müsste ein:e Wissenschaftsminister:in unbedingt mitbringen?

Unter der Leitung von Bundesminister Martin Polaschek, einem Experten im Hochschulmanagement und der Umsetzung von Innovationen, wurden bereits Verbindungen zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft geschaffen. Mit der Exzellenzinitiative, der größten Forschungsförderung Österreichs, hat er die Wettbewerbsfähigkeit in zukunftsweisenden Bereichen wie Quantenphysik, Life Sciences und Künstlicher Intelligenz gestärkt. Zusätzlich wurden Maßnahmen wie Spin-off Fellowships und der Ausgründungsleitfaden zur Verbesserung des Wissenstransfers umgesetzt. Die erfolgreiche Verhandlung eines Rekordbudgets von 16 Milliarden Euro für Universitäten unterstreicht den hohen Stellenwert der Hochschulen. Auch künftig braucht es diese Kompetenzen und Expertise an der Spitze des Ressorts. Wir setzen weiterhin auf Exzellenz, fördern Talente und internationale Kooperationen, um den Wissenschaftsstandort weiter zu stärken.

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre scheint es notwendig, entsprechende Fachexpert:innen mit dieser Position zu betrauen, die auch Erfahrung mit Wissenschaftspolitik aufweisen.

Für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist es essenziell, dass eine Wissenschaftsministerin oder ein Wissenschaftsminister über umfangreiche Erfahrung im Bildungsbereich verfügt und politisch gut vernetzt ist. Die jüngsten Erfahrungen haben gezeigt, dass die Besetzung dieses wichtigen Amtes durch einen Wissenschaftler, der zwar fachlich kompetent, aber politisch unerfahren ist, nicht den gewünschten Erfolg bringt.
Bildung ist ein Schlüsselbereich für die Zukunft unseres Landes, weshalb es in diesem Bereich keinen Platz für Personalexperimente gibt. Ein Wissenschaftsminister muss nicht zwingend ein umfassender Fachexperte sein, sondern in der Lage sein, auf Grundlage der Expertise des Ministeriums fundierte Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus ist es entscheidend, dass der Minister sicherstellt, dass diese Entscheidungen auch von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden. Eine starke politische Führung und die Fähigkeit, breite Zustimmung zu erzielen, sind daher ebenso wichtig wie fachliche Kompetenz.

Er oder sie müsste umfassende Kenntnisse des tertiären Sektors haben und über die unterschiedlichen Personalkategorien und die damit zusammenhängenden Notwendigkeiten Bescheid wissen. Wesentlich ist auch ein guter Überblick über die soziale Lage der Studierenden. Wenn, wie oben angedacht, zum Portfolio die Universitäten sowie Forschung und Innovation gehören sollen, dann braucht es vor allem auch Kenntnis über die Forschungsförderung, nämlich sowohl über die Grundlagenforschung wie auch die angewandte Forschung in nationalen wie internationalen Zusammenhängen. Innovativ sollten eigentlich alle Minister:innen sein, wie oben bereits ausgeführt. Ein:e Wissenschaftsminister:in muss aus unserer Sicht darüber hinaus über eine hohe soziale und kommunikative Kompetenz verfügen, gilt es doch die Interessen unterschiedlicher Gruppen möglichst unter einen Hut zu bringen. Verhandlungskompetenz und eine inhaltliche wie persönliche Souveränität sind sicherlich von Nutzen. Er oder sie sollte zukunftsweisende Änderungen in den Blick nehmen und versuchen umzusetzen.

Ein Minister oder eine Ministerin muss fachliche und politische Kompetenz mitbringen und vor allem eine Vision, Mut, Entschlossenheit, Kommunikations- und Konsensfähigkeit sowie Durchhaltevermögen haben. So wie ein guter Arzt nicht automatisch ein guter Gesundheitsminister ist, eine kompetente Wissenschaftlerin nicht automatisch eine gute Wissenschaftsministerin. Entscheidend ist, ob er oder sie die Kraft und Fähigkeit hat, gemeinsam mit den Stakeholdern Reformen durch- und umzusetzen. Es braucht aber auch ressortübergreifend das klare Bekenntnis, um der Wissenschaft einen entsprechenden (budgetären) Wert in der nächsten Regierung beizumessen.