Martin Gerzabek
„Gemeinsam gegen die Klimakrise: Universitäten als Motoren der Nachhaltigkeit!“
"Schaffen wir es nicht, den Klimawandel zu verlangsamen und uns an die Veränderungen anzupassen, werden soziale Spannungen, Hunger, Verteilungskämpfe und Migration zunehmen" – mit diesen eindringlichen Worten wandte sich Martin Gerzabek vom Institut für Bodenforschung an der BOKU am 21. Juni im Rahmen eines Impulsreferats (siehe nachfolgender Text) an die Mitglieder des uniko-Fördervereins.
Bei der regen Diskussion im Anschluss, an der sich neben uniko-Präsidentin Sabine Seidler auch Veronica Kaup-Hasler, Wiener Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, beteiligte, ging es um Best Practice Beispiele im In- und Ausland, sinnvolle Allianzen und die nötigen politischen Rahmenbedingungen.
Die Frage, welche wertvollen Erkenntnisse Nachhaltigkeitsprojekte in Afrika für die Landwirtschaft in Europa unter zunehmenden Wetterextremen liefern können, wurde ebenso diskutiert wie die Ambivalenz Chinas zwischen einem enormen Raubbau an der Natur und nachhaltigen Vorzeigeregionen. Einigkeit herrschte darüber, dass es rasche und konkrete gesetzliche Vorgaben von Seiten der Politik ebenso braucht wie eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Dafür sei es notwendig, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken und gegen populistische Tendenzen anzukämpfen und den Menschen die Angst vor Veränderung zu nehmen. Kunst und Kultur würden hier einen wichtigen Beitrag leisten, um "sichtbare und sinnliche Zeichen" des Wandels zu setzen und gesellschaftliche Diskurse in Gang zu bringen.
Impulsreferat von Martin Gerzabek
Die Menschheit steht vor unglaublichen Herausforderungen. Dabei möchte ich drei speziell hervorheben:
1.) Klimawandel
Der Klimawandel zieht vielfältige Auswirkungen nach sich: So z.B. direkte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und Sicherheit (vermehrte Hitzetage, Dürre, Überschwemmungen, Waldbrände etc.), als auch auf die Primärproduktion (Land- und Forstwirtschaft), den Wasserhaushalt und die Habitate für Pflanzen und Tiere auf der Erde. Die BEAT Studie (2018) schätzt für Österreich einen Rückgang der Bodenfruchtbarkeit in Ostösterreich von 35 bis 50% und einen äquivalenten Rückgang der Erntemengen bis 2050 mit einem gleichzeitigen weiteren Rückgang der Selbstversorgung.
2.) Biodiversitätskrise
Wir haben es hier mit dem 6. Massenaussterben von Arten in der Geschichte der Erde zu tun. Die Insektenbiomasse ist um 76% zurückgegangen (Background wären 0,1 bis 1 Art pro 10.000 Arten und 100 Jahren; Die derzeitige Rate ist 100 bis 1000 Mal höher). Dies ist eine große Gefahr für die Stabilität und die Resilienz der Ökosysteme. Warum? Normalerweise übernehmen andere Arten die Funktionen im Ökosystem, wenn eine Art ausstirbt. Dies ist zunehmend nicht mehr möglich bei einer so schnellen Aussterberate. Der Mensch ist für die Biodiversitätskrise verantwortlich (Stichwort Klimawandel: verstärkte Brände und Überschwemmungen; Landnutzungsänderungen, die Habitatverluste nach sich ziehen)
3.) Abnahme der Zahl demokratisch geführter Länder, Radikalisierung, Nationalismus, Kriege, Wirtschaftskrisen
Warum nenne ich den letzten Punkt? Er hat auch mit einem Verteilungskampf um Ressourcen zu tun wie das Beispiel Wasser im Tschad zeigt; Migration wegen Mangelernährung etc. ist die Folge. Diese Probleme verstärken sich durch die Klimakrise noch mehr. Es befinden sich ca. 68 Millionen Migrationswillige in Subsahara Afrika!
Schaffen wir es nicht, den Klimawandel zu verlangsamen und uns an die Veränderungen anzupassen, werden soziale Spannungen, Hunger, Verteilungskämpfe und Migration zunehmen.
Die Universitäten haben die Verpflichtung – auch aus Eigennutz – diese Herausforderung anzunehmen. Die Thun-Hohenstein‘schen Universitätsreformen 1848-1860 brachten den Universitäten damals nicht gekannte Freiheiten, die im Staatsgrundgesetz verankert wurden und bis heute nachwirken. Diese Privilegien bedingen aber auch eine erhöhte Verantwortung gegenüber der Gesellschaft!
Die Klimakrise ist in den Ursachen vielfältig und in ihren Auswirkungen:
· Es sind in Forschung und Lehre eine große Anzahl von Fächern betroffen.
· Dabei ist es nicht nur mit naturwissenschaftlicher und technischer Forschung und Lehre getan, sozioökonomische Themen sind hier ebenso angesprochen. Also: eine interdisziplinäre Herausforderung, die auch die einzelne Universität nicht alleine schaffen kann, sondern nur in Zusammenarbeit und mit stark transdisziplinären Aspekten.
Was kann nun die einzelne Universität tun?
· Die SDGs müssen in die DNA jeder Universität einfließen.
· Universitäten sollten nicht nur in Forschung und Lehre, sondern auch an der eigenen Institution die Nachhaltigkeit vorantreiben. Dies ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit nach außen und innen (Studierende).
· Hilfe können sie in der Allianz der nachhaltigen Universitäten erwarten, die seinerzeit von der Uni Graz und der BOKU 2012 gegründet wurde. Am Anfang waren es 7 Mitglieder. Heute sind 19 der 22 Universitäten aktive Mitglieder der Allianz.
Welche Handlungsfelder gibt es?
· Klimaneutrale Universitäten und Hochschulen (EMAS Zertifizierungen als erster Schritt)
· Nachhaltige Gebäude (TÜWI, Laborgebäude aus Holz)
· Nachhaltige Mobilität (BOKU-Bike)
· Nachhaltige Beschaffung
· Bildung für Nachhaltige Entwicklung (Sustainicum)
· Verein forum n hat sich u.a. vor dem Hintergrund gegründet, studentische Initiativen und Einzelpersonen im Nachhaltigkeitsbereich österreichweit zu vernetzen. (Nachhaltigkeitstag an der BOKU)
Aus der Allianz heraus wurde das Projekt Uninetz gestartet.
Dabei übernehmen die Partnerinstitutionen sogenannte Patenschaften und Mitwirkungen für die SDGs. Eine Patenschaft bedeutet, dass die Institution alles Wissen sowie Aktivitäten österreichweit zum jeweiligen SDG koordiniert und zusammenträgt. Eine Mitwirkung beschreibt die inhaltliche Mitarbeit an einem bestimmten SDG. Durch diese intensiven Kooperationen und fachliche Auseinandersetzung mit den SDGs werden alle Beiträge gesammelt, kritisch beleuchtet und aufeinander abgestimmt. Im Zeitraum 2019–2021 wurde ein Optionenpapier erarbeitet.
Ein Optionenbericht im Umfang von 148 Seiten zu allen Bereichen der Nachhaltigkeit richtet sich an Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Finanzwirtschaft, Individuen und Gruppen, Bildung, Wissenschaft, Kunst und Medien. Dieser umfasst folgende Aspekte:
- Wohlergehen von Menschen und Gesellschaft
- Globale Umwelt
- Nachhaltige und gerechte Wirtschaft
- Energiesysteme und zirkuläres Kohlenstoffmanagement
- Ernährung und Lebensmittelproduktion
- Städtische und ländliche Raumentwicklung
Es handelt sich um die 6 Hebelpunkte:
- Umsetzung des Optionenberichtes
- Interdisziplinärer und transdisziplinärer Dialog
- Monitoring und Begleitung der Umsetzung der Maßnahmen
- Forschung für SDGs und Empfehlungen für die Forschungsförderung
- Lehre nachhaltiger gestalten
- Transformation von Universitäten und Gesellschaft. Förderung transformativer Wissenschaften und Entwicklung neuer Indikatoren für Forschung und Lehre.
Den Universitäten kommt hierbei eine zentrale Rolle zu, die schwierige Situation und die großen Herausforderungen zu meistern. Ich denke, dass die Covid-19-Krise gezeigt hat, dass die Wissenschaft in Krisensituationen wichtige Beiträge leisten kann. Dabei müssen mehrere Grundvoraussetzungen erfüllt sein: (i) die Wissenschaft, die Universitäten müssen sich ihrer sehr großen Verpflichtung bewusst sein und das Engagement einzelner Wissenschafter:innen oder Gruppen von Wissenschafter:innen entsprechend fördern. Politikberatung muss sich für die Einzelnen auch „auszahlen“. (ii) die Wissenschafter:innen sollten glaubwürdig und differenziert in der Öffentlichkeit und der direkten Politikberatung auftreten und (iii) die Gesellschaft und die Politik muss die Wissenschaft und ihre Mechanismen ernst nehmen. Dazu benötigt es auch institutionelle Unterstützung!
Ausgehend von den vorhandenen Strukturen – Allianz der nachhaltigen Universitäten und dem Projekt Uninetz könnten sich die Universitäten noch stärker als Motoren der Veränderung in der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Anpassung an und der Verlangsamung des Klimawandels profilieren.
Österreich sollte in den bestehenden starken europäischen und internationalen Universitätsnetzwerken das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben und die bereits bestehenden zahlreichen Initiativen weiterhin – wenn möglich – federführend unterstützen.
Martin Gerzabek
Stv. Vorstand des Institutes für Bodenforschung an der BOKU; Präsident der Christian Doppler Forschungsgesellschaft