KOMMENTAR
Fokus Klimawandel: Das Zeitfenster ist noch einen Spalt offen
Spätestens seit dem Bericht des Weltklimarats (IPCC) liegen die ohnehin längst bekannten naturwissenschaftlichen Fakten auf dem Tisch: Uns bleibt nur noch ein kleines Zeitfenster, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Die Universitäten sind auf dem Weg zur Klimarettung und zu einer nachhaltigeren Gesellschaft Vorreiterinnen und Impulsgeberinnen und die BOKU als die Nachhaltigkeitsuniversität in Österreich sieht sich bei den Themen Klimaschutz und Sustainability in einer besonderen Verantwortung.
Zu den brennenden Problemen, die mit der Klimakrise einhergehen und die wir bereits jetzt zu spüren bekommen, wie Extremwetterereignisse, Trockenheit oder Ernteausfälle – im heimischen wie im globalen Kontext – wird an der BOKU bereits seit vielen Jahren geforscht. Ich sehe unsere Verantwortung aber auch darin, die Begriffe Klimaschutz und Nachhaltigkeit, die uns mittlerweile allen so leicht über die Lippen gehen, inhaltlich mit exzellenter Forschung und innovativer Lehre zu besetzen. Daher steht auf meiner Prioritätenliste die Etablierung eines Studiums mit dem Fokus Klimawandel ganz oben.
Die Folgen der menschengemachten Klimaveränderung werden wir nur mit einer ganzheitlichen Herangehensweise abfedern können. Die Inter- und Transdisziplinarität, die seit 1872 fest in der DNA der BOKU verankert ist und sich in allen Studienrichtungen wiederfindet, kann hier als Beispiel für eine geeignete Zugangsweise zu komplexen Fragestellungen wie Klimaschutz, Biodiversität und Nachhaltigkeit dienen. Wir geben damit unseren Studierenden fundierte Werkzeuge mit, die es ihnen ermöglichen, genau diese holistischen Lösungsansätze zu entwickeln. Durch das Drei-Säulen-Prinzip der BOKU-Studien – Naturwissenschaften, Technik und Sozioökonomie – sind unsere Absolvent:innen in der Lage, an den Schnittstellen unterschiedlicher Disziplinen zu arbeiten. Denn wir müssen uns bewusstmachen, dass wir die Transformation in Richtung einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Gesellschaft und Wirtschaft nur mit einem fächer- und disziplinenübergreifenden Mindset schaffen werden.
Generell leisten Technik und Naturwissenschaften ganz wesentliche Beiträge zur Sicherung unserer Zukunft. Aber wir erkennen gerade jetzt, dass der Druck auf die Wissenschaft zunimmt und die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr kommt. Sowohl der Klimawandel als auch die Pandemie sind Beispiele für diese Entwicklung, der entschieden entgegenzutreten ist. Wir müssen der Forschung, insbesondere der Grundlagenforschung Zeit und Freiheit geben, wenn wir fundierte Ergebnisse erwarten. Wir haben in der Verfassung das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit verankert und das muss gewahrt blieben. Diese Freiheit berechtigt uns aber auch, die Politik dort, wo es notwendig ist, gut zu beraten – wie etwa beim Thema Klimawandel.
Die Wende in der Energiewende verhindern
Nicht zuletzt unerwartete Ereignisse wie der Angriff Russlands auf die Ukraine führen uns deutlich vor Augen, wie dringend wir den Ausstieg aus fossiler Energie zugunsten erneuerbarer Energiequellen vorantreiben müssen. Es bleibt zu hoffen, dass es im Licht der jüngsten geopolitischen Ereignisse nicht zu einem Ausstieg aus dem Ausstieg kommt und Kohle wieder als Alternative zur derzeitigen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas betrachtet wird, sondern dass der Ausbau erneuerbarer Energie endlich die notwendige Beschleunigung erfährt. Denn die jüngste Diskussion, ob mithilfe von Atomkraft die Ziele des EU-„Green Deal“ rascher erreicht werden können, hat gezeigt, dass auch vermeintlich veraltete Technologien zur Energiegewinnung plötzlich das grüne Mäntelchen umgehängt bekommen.
Als Umweltjuristin ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass bei Klimaschutz in den vergangenen Jahren die Frage nach einem geeigneten rechtlichen Rahmen in den Vordergrund gerückt ist. Auf internationaler Ebene bräuchte es endlich verbindlichere Vereinbarungen. Das Pariser Abkommen hat bekanntlich keinen Sanktionsmechanismus, sondern ist im Wesentlichen nur eine Verpflichtung zur Selbstverpflichtung. Das geht bis in die nationalstaatliche Rechtsordnung – unser Klimaschutzgesetz wird nun reformiert und soll künftig auch einen besseren Sanktionsmechanismus beinhalten.
Individuelle Klagen als Chance
Mit Recht werden jedoch häufig ausschließlich Sanktionen, Strafen und Vorschriften assoziiert. Diese wirken aber nicht immer – Stichwort Corona, nämlich dann nicht, wenn rechtliche Rahmenbedingungen für die Menschen in ihrem unmittelbaren Leben nicht einsichtig sind. Das heißt, die besten Klimaschutzpakete werden wenig Rückhalt finden, wenn sie abstrakt bleiben. Im Rahmen einer interdisziplinären Studie zum Thema Klima und Verkehr, an der ich beteiligt war, sollten die Befragten angeben, ob sie lieber eine CO2-Steuer hätten oder ein Verbrennerverbot. Überraschenderweise war die Mehrheit für Zweiteres, obwohl es einen deutlich härteren Eingriff bedeuten würde als die sanftere Lösung einer Besteuerung. Warum? Weil dem Aspekt Fairness, also dass alle gleichermaßen betroffen wären, mehr Gewicht beigemessen wurde.
Wir brauchen andere rechtliche Instrumente, etwa individuelle Rechte, die geltend gemacht werden. In der Vergangenheit, zum Beispiel beim Luftreinhaltegesetz, hatten solche Strategien Erfolg: Österreich musste ein individuelles Recht auf Luftreinhaltung implementieren, nachdem der Europäische Gerichtshof dies anerkannt hatte. Derzeit sind drei Klimaklagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Alle drei argumentieren, grob gesprochen, mit dem Recht Einzelner. Klagen wie diese sind ausgesprochen wichtig. Meine Überzeugung ist nämlich, dass Rechte so lange nur auf dem Papier existieren, bis man sie im Einzelfall und im Konflikt erkämpft. Das gilt für uns Menschen und für das Klima gleichermaßen.
Eva Schulev-Steindl
seit Februar 2022 Rektorin der Universität für Bodenkultur Wien